Die Strategien einer 82-jährigen Wienerin
Mein Krebs und ich
Renate Bartel, Brustkrebs

Schöne Erinnerungen, die stärken
Frau Bartel ist ein Familienmensch, und darüber hinaus ein großer Menschenfreund. Sie schöpft aus den vielen Erinnerungen ihrer Kindheit, ihre gute Ehe und der Zeit mit ihren eigenen Kindern und ihrer Zeit im Geschäft. „Ich hatte so ein sehr schönes Zuhause und eine wundervolle Kindheit, in der ich mit meinen Eltern und Geschwistern sogar viel gereist bin. Mit meinem Mann haben wir immer bewusst an die frühere Zeit gedacht und über die Familie gesprochen.“
Ich spreche mit meinem Bauch
Auf die Frage, was Frau Bartel in schwierigen Situation reagiert, erklärt sie: „Ich spreche mit meinem Bauch. Schauen Sie, ich lege bewusst meine Hand auf den Bauch, mache die Augen zu und spreche mit mir selbst: ‚Sag mir, was mache ich richtig?‘ Das was mir mein Bauch sagt, das ist richtig. Auch anderen Menschen habe ich empfohlen, doch mit ihrem Bauch zu reden, wenn es ihnen schlecht geht. Die kriegen aber oft keine Antwort. Ich habe das gemacht, als ich meine Krebsdiagnose erhielt, wie mein Mann schwer krank wurde, wie ich mit meiner Pensionsversicherung so viele Probleme hatte. Ich habe immer die richtige Antwort bekommen. Ich spüre dann immer warme Ströme in meinem Körper. Ja, ich vertraue mehr auf den Bauch als auf den Kopf.“
Akzeptieren und kämpfen
Frau Bartel sagt, wenn es um große Herausforderungen ginge, sei sie ein Revoluzzer: „Wenn ich etwas nicht will, dann soll es nicht sein – auch nicht die Krankheit. Ich habe schon immer meinen eigenen Schädel gehabt, dass ich nicht alles so an mich heranlassen kann. Ich nehme die Krankheit an, aber ich steigere mich nicht hinein. Ich will mir nicht selbst leidtun, weil es nichts bringt. Ich sage mir nicht ‚Warum ich, und nicht wer anderer?‘ Ich sage eher: Das ist so. Das habe ich. Und dagegen kämpfe ich.“ Frau Bartel bringt ihren Leitspruch auf den Punkt: „Ich habe den Krebs nicht eingeladen. Er soll sich schleichen. Ich möchte beweisen, wer von uns zwei der stärkere. Als Skorpion bin ich ein sturer Schädel, den manche Leute, aber auch mein Krebs zu spüren kriegen.“
Auf der Suche nach den eigenen Ressourcen
„Ich kann verstehen, wenn andere Menschen anders sind – auch innerhalb meiner Familie. Ich denke immer, der Satz ‚Ich kann nicht‘ gehört eingesperrt. Es gibt nur ‚Ich muss‘. Man sollte lernen, vieles anzunehmen, und dann alles tun, das einem guttut. Und dann sollte man versuchen, alles zu unternehmen, dass es einem bessergeht.
Auch ich bin in ein tiefes Loch gefallen. Aber ich habe mir damals eine Kerze angezündet, den Tisch habe ich mir schön gedeckt und gute Musik aufgelegt. All das Andere habe ich gedanklich in einen riesengroßen Sack eingepackt und tief ins Meer versenkt, ganz weit weg. Wissen Sie, dort wo es recht schön ist, am letzten Zipfel von Italien. Ganz, ganz unten im Meer, denn dort bleibt’s. Dann hegt man halt so Träume, dass man dort wieder mal hinkommt. Aber natürlich ohne Sack, sondern nur um die schöne Gegend zu sehen.“
Gespräch im August 2024, Eva Estermann