Einer der daran glaubt, dass nicht alles schiefgeht

Mein Krebs und ich

Rudi Ulmer, Leberkrebs

 

„Ein Optimist ist nicht einer, der daran glaubt, dass alles gut geht. Ein Optimist ist einer, der daran glaubt, dass nicht alles schiefgeht!“ sagt Rudi Ulmer.

In diesem Interview erzählt Rudi über die wahrscheinlich schwierigsten Jahre seines Lebens. Mit der Diagnose Leberkrebs ändert sich 2019 Alles im Leben des Familienvaters: „Dreimal die Diagnose Krebs, zwei Krebsoperationen, eine Immuntherapie. Dazwischen aber die lebenseinschneidenden Aussage im Krankenhaus: Herr Ulmer, Sie haben circa noch ein halbes Jahr zu leben“. Vier Jahre später wird Rudi lebertransplantiert. Seitdem kann er wieder ein Leben führen, von dem er zeitweise nicht mehr gewagt hat zu träumen. Für dieses Interview erreichen wir Rudi kurz vor Abreise in den Urlaub in seine Wahlheimat Griechenland.

 

Was hat dir in der allerschwierigsten Zeit am meisten geholfen?

Unmittelbar nach der Diagnose und zu Beginn der Behandlungszeit hat mir sicherlich mein unbeugsamer Lebenswille geholfen. Ich wollte leben und weiterhin erleben. Das Leben ist viel zu schön, um es einfach so aufzugeben. Trotz aller Tiefs gibt es so viel Schönes – im Kleinen als auch im Großen, das will ich nicht missen. Der Duft von gutem Kaffee und gutem Essen, das Reisen ans Meer, Segeln, mein Beruf, vor allem natürlich die Partnerschaft, mein Sohn, die Allerliebsten… Ich baue auf schöne und vielfältige Lebenserinnerungen auf. Und auf ein wunderbares Umfeld, meine Partnerin, meinen Sohn, meine Eltern und meine allerengsten Freund:innen haben mir damals sehr geholfen.

Aber auch meine Psychoonkologin bei der Krebshilfe Wien hat dazu beitragen, dass ich mit meiner Ohnmacht, meinen Ängsten und vielschichtigen Gedanken umgehen lernte. Ein wunderbarer Arzt, den ich bei der Reha kennenlernte, und zu dem ich nachher noch regelmäßig Kontakt hatte, hat mich nicht nur auf der medizinischen Ebene, sondern auch auf einer menschlichen Ebene beraten, mir zugehört, mich durch diese schwierigen Zeiten begleitet. Er hat mich als Mensch, mit all meinen Fragen und Gedanken ernst genommen, mich ermutigt durchzuhalten und ergänzende Perspektiven aufgezeigt. Ein wichtiger Wegbegleiter für mich und ein wahrer Humanist!

Geholfen haben mir natürlich auch die Reha-Aufenthalte. Hier konnte ich mich wirklich körperlich wie psychisch erholen. Ich konnte mich endlich nur auf mich konzentrieren. Es geht ja nicht nur um den Krebs alleine, sondern um all das rund herum, was dadurch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich musste mich um nichts kümmern, man hat sich rund um die Uhr um mich gekümmert.

Hast du das Gefühl, dass du dir selbst helfen konntest?

Ab dem Moment im Leben, wo sich mit der Diagnose alles so radikal für immer änderte, hat sich für mich gezeigt, dass ich diese Veränderungen akzeptieren sollte. Der Krebs ist da. Man muss sich nur überlegen, wie man das Beste aus dieser wahrlich nicht erfreulichen Situation rausholen kann. Dagegen ankämpfen kann man nicht wirklich. David Bowie sagte einmal „Time may change me, But I can't trace time“. Also sinngemäß sowas wie „Man kann die Vergangenheit nicht ändern, aber man kann daraus lernen und diese nützen für die Zukunft.“

Von wo hast du noch deine innere Lebenskraft in diesen schwierigen Momenten geschöpft?

Ich habe diverses Wissen und den Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen aus meiner langjährigen Berufserfahren abrufen können – ich arbeite als Streetworker mit jungen Menschen, die es nicht immer leicht im Leben haben. Hiervon kenne ich es auch, dass man eine Akzeptanz erlernen muss, um positiv bleiben zu können, d.h. zum Leben JA! sagen.

So wurde mir im Laufe meiner Krebserkrankung bewusst, dass ich selbst auch einiges tun kann, um meinen Alltag besser zu gestalten. Ich habe viel darüber gelesen, mir Informationen besorgt, wichtige Gespräche mit anderen Menschen geführt, ich habe zusätzlich für mich sehr wertvolle psychoonkologische Hilfe in Anspruch genommen. Natürlich habe ich auch mit anderen Betroffenen gesprochen, denn die sind die wahren Profis dafür! Ich habe mir auf vielfältige Weise viel Input geholt, von jedem etwas mitgenommen und geschaut, was mit meiner Lebenseinstellung und meiner Situation gerade kompatibel ist. Wichtig ist, ich entscheide was mir guttut, was ich benötige, in welcher Geschwindigkeit etc. und nicht mein Umfeld – es ist mein Körper, meine Psyche & meine Krankheit.

Bist du auf dein Umfeld zugegangen?

Ich musste erlernen, Unterstützung einzufordern und auf Menschen zuzugehen und sie um Unterstützung zu bitten. Weil es mir immer wieder psychisch und auch körperlich recht schlecht gegangen ist. Meine Erfahrung dabei war, man findet schnell heraus, wer wieviel aushält und wer nicht. Man darf dabei auch ruhig ein wenig unverschämt sein und eine Portion Egoismus aufbringen, wenn man dadurch im Alltag besser über die schwierigeren Phasen kommt.

Wie schafft du es, deine eigenen Ressourcen zu aktivieren?

Ich habe grundsätzlich eine sehr positive Lebenseinstellung. Ganz zentral für mich, um das alles zu schaffen, ist mein Humor und manchmal auch, einfach Aufhören darüber nachzudenken. Es geht um eine gesunde Dosierung im Umgang mit seiner Krankheit. Oft haben meine Freunde nicht verstanden, wieso ich noch immer humorvoll sein konnte, obwohl es mir eigentlich schlecht ging. Ich habe in all den Jahren mit dieser Krankheit gelernt, dass manchmal der Verstand und der Ernst der Dinge Pause machen und dass trotz alles Irrsinns das Leben, so wie es gerade ist, doch gefeiert gehört. Es benötigt punktuell auch eine Leichtigkeit, ja einen Wahnsinn. Sonst wird alles viel zu schwer und noch unerträglicher.

Der erste Schritt nach so einer Diagnose darf immer Verzweiflung sein, aber bald danach ist es aus meiner Sicht wichtig, gegenzusteuern und soweit es möglich ist, positiv nach vorne zu schauen und weiterleben.

Etwas kann ich sagen: Das Leben lohnt sich immer, auch wenn es zwischendurch noch so schwer ist. Der Spruch hat seine Gültigkeit: „Aufgeben kann man einen Brief, aber nicht das Leben.“

 

Gespräch im September 2024