Teil 1: Ein langer Weg bis zur Diagnose

Mein Krebs und ich

Laura Castillo-Ritter, Brustkrebs
Unerträgliche Schmerzen

Laura Castillo-Ritter hat metastasierten Brustkrebs. Lange vor der Diagnose plagen die damals 39-jährige Mutter dreier Kinder sehr starke Rückenschmerzen. Sie läuft von Pontius zu Pilatus, um eine Erklärung dafür zu finden, doch kein Arzt vermag zu helfen.

Lauras Schmerzen nehmen trotz Schmerzmitteln weiter zu. Sie fühlt sich erschöpft, nicht ernst genommen und will nur eines: eine Diagnose, die ihr helfen kann, endlich eine gezielte Therapie zu beginnen, um wieder normal leben zu können. „Ich hatte immerzu das Gefühl, dass ich mich bei den Ärzten rechtfertigen muss, niemand glaubte mir.“ Trotzdem bleibt Laura stark und zuversichtlich: „Jedes Mal habe ich mir gedacht: Aber jetzt! Jetzt wird mir endlich geholfen.“ Bei einem Röntgen wird dann eine Fraktur erkannt: ein Wirbel war zusammengebrochen und die Veränderungen hatten sich auf andere Wirbel ausgedehnt. Ende 2022, nach etlichen Arztbesuchen, Krankenhausaufenthalten, Röntgen und MRTs wird eine Biopsie gemacht – Laura hofft auf das erlösende Ergebnis.

Der Tag der Diagnose

„Das MRT-Ergebnis wurde mir nachhause geschickt. Mein Mann und ich haben beide beschlossen, nicht zu googlen, sondern abzuwarten, bis uns ein Arzt alles erklärt. Kurz hatte ich gesehen ‚bösartiger Verdacht‘. Ich habe den Gedanken aber gleich wieder weggesperrt. Nach weiteren Untersuchungen wurde mir der endgültige Befund mitgeteilt.“ Lauras Diagnose: Brustkrebs mit Knochenmetastasierung in Wirbelsäule und Becken. Laura hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit.

„Als ich vom Krankenhaus nachhause kam, habe ich mich zuerst in meinem Zimmer versteckt. Ich wollte nicht, dass die Kinder mich sehen. Ich wäre sofort in Tränen ausgebrochen. Ich wusste, ich muss mich auf dieses Gespräch mit ihnen gut vorbereiten. Mein Mann hat sich damals rund um die Uhr um die Kinder gekümmert. Er war – ich weiß nicht woher er seine Kraft nahm – komplett auf Autopilot. Er musste mich oft trösten. Und als ich zu ihm sagte: ‚Aber für dich ist ja Niemand da.’ meinte er, es reiche ihm, wenn er sich um mich kümmern kann.

Das Gefühl, mit jedem Befund wird es schlechter

Laura wird mehrmals biopsiert: linke Brust, PET Scan, rechte Brust, dann Gentest und Rückenbiopsie „Ich habe mich damit getröstet, dass jede weitere Untersuchung, die ich mache, mich näher zum Gesundwerden führt. Je genauer man meine Diagnose weiß, desto besser könnten Ärzte Medikamente auf mich abstimmen. Nur es waren so viele Untersuchungen und immer diese Warterei auf die Ergebnisse: ich hatte bald das Gefühl, mit jedem Befund wird es schlechter.“

Endlich der Therapiebeginn

Nach der Abklärung wird zügig wird mit der Bestrahlung und einer Schmerztherapie begonnen. Eine antihormonelle Behandlung versetzt Lauras Körper künstlich in die Menopause. Die Schmerzen werden weniger und Laura erhält Lebensqualität zurück. In der Krankenhausambulanz fühlt sich Laura allerdings oft als eine ‚Nummer‘. Die Ärzte wechseln regelmäßig und jedes Mal hat sie das Gefühl, sie erzählt ihre Geschichte von Neuem. „Ich habe noch Witze gemacht: Endlich bekomme ich neue, stramme Brüste und gefragt, wann es soweit ist.“ Die ernüchternde Antwort: „Frau Castillo-Ritter, Sie haben Metastasen. Operieren ist nicht sinnvoll.“

Wie lange ist mein ganzes Leben?

Was sich Laura zu diesem Zeitpunkt wünscht, ist ein Arztgespräch, in dem sie endlich über alles offen sprechen kann. Mit Hilfe einer Psychoonkologin schafft sie es, mit ihren Ängsten etwas besser klarzukommen. Sie versteht Therapie und Therapieziel, nur die ganz großen Fragen bleiben unbeantwortet. „Zu diesem Zeitpunkt war ich traurig, aber halbwegs gefestigt. Nicht die Brustkrebsdiagnose hat mich fertiggemacht, sondern die Frage, ob ich meinen Kindern den Krebs weitergeben kann und natürlich auch die Frage, wie lange ich lebe.“

Ein Gen-Test gibt Aufschluss darüber, dass die Krankheit vererbbar ist. Die Familie weiß nun, dass die Kinder sich bei Volljährigkeit testen lassen müssen. Als eine Ärztin mit Laura darüber spricht, nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen: Sie stellt die Frage, die sie am meisten belastet: „Jeder sagt mir immer, meine Diagnose wäre kein Todesurteil, aber dass ich mein ganzes Leben lang Medikamente nehmen muss. Nur, was heißt das, wie lange ist denn mein ganzes Leben?“ Die Ärztin ist auf die Frage vorbereitet. „Sie sagte zu mir: Es hat nicht so viel Gewicht, in welchem Stadium ich bin, sondern wie ich auf die Medikamente reagiere. Wenn ich gut darauf reagiere, dann werden es bestimmt einige Jahre.“

Einige Jahre? Das ist der Moment, in dem Laura der Boden unter den Füßen weggerissen wird. „Nach diesem Gespräch dachte ich, wie soll ich nur in der Früh aufstehen? Wie soll ich das meinen Kindern sagen? Plötzlich hat sich eine Tonne auf mich gelegt. Ich habe mich geärgert, dass ich gefragt habe. Bis dahin war ich eigentlich sehr gefasst, auch die Schmerzen hatte ich im Griff. Mein Mann hatte mich bei diesem Gespräch begleitet. Als wir im Auto nachhause fuhren, haben wir nicht gesprochen, sondern einfach nur zusammen geweint.“