Teil 3: Ein neues Leben mit Krebs

Mein Krebs und ich

Laura Castillo-Ritter, Brustkrebs
Neben der Bestrahlung eine starke Medikation

Mit der richtigen Medikation werden Lauras Schmerzen viel erträglicher. Laura klebt regelmäßig ein Morphinpflaster und schluckt eine Reihe unterschiedlicher Schmerzmittel. Die hochdosierten Medikamente verbessern Lauras Lebensqualität merklich. Plötzlich kann sie wieder nachts schlafen. Das Leben normalisiert sich. Der Krebs hatte sich v.a. im Rücken ausgebreitet und die Bestrahlung konnte das Wachstum hemmen.

Ich fühle mich so fremdgesteuert

Eine sehr große Unterstützung erhält Laura von erstem Tag an durch ihren Mann. Er hat das Glück auf einen verständnisvollen Arbeitgeber zu treffen, der um die Herausforderungen in solch einer Situation weiß. Lauras Mann vermittelt ihr, immer für sie da zu sein, hört ihr zu und übernimmt unzählige neue Aufgaben im Haushalt und auch in der Versorgung der Kinder. Natürlich kämpft Lauras Mann mit der Situation, das weiß Laura. Sie will nicht, dass das Gleichgewicht zu sehr zwischen ihrem Mann und ihr ins Wanken kommt. „Mir ist die Fifty-Fifty-Teilung wichtig, weil ich die Beziehung nicht zu sehr belasten will. Jeder soll weiterhin seine Verantwortungsbereiche haben.“

Laura muss bald einsehen, dass sie körperlich Vieles nicht mehr wie früher leisten kann. „Bei einer Krebserkrankung kannst du dir nicht aussuchen, ob du dies oder jenes machst oder nicht. Vor der Diagnose hatte ich die Option, Sport zu machen. Ich hatte meine körperliche Fitness in der Hand und wusste, sobald ich wieder Kraft und Zeit habe, ist alles möglich. Mit dem Krebs weiß ich, dass es nicht mehr nur an mir und meinem Willen liegt, sondern an meiner Erkrankung – das macht sehr traurig. Ich habe das Gefühl, dass ich Vieles nicht mehr in der Hand habe, sondern fremdgesteuert bin. Ich bin in meinem Körper, ich muss ihn akzeptieren wie er ist, mit allen Einschränkungen.“

Laura findet zu sich zurück

„Mein Ziel ist jetzt, stabil zu bleiben. Wenn etwas besser werden sollte, das ist dann Bonus.“ Laura nimmt regelmäßig Antikörper-Spritzen und unterzieht sich einer Hormonunterdrückung, um Metastasen im Zaum zu halten bzw. zu stoppen. Laura empfindet die Nebenwirkungen ihrer Therapien nicht als beeinträchtigend, sie ist stark im Nehmen. Sie spürt, dass die Lebensqualität jeden Tag mehr wieder zurückkommt und das gibt ihr innere Kraft.

Ganz wichtig ist ihr die Familie. Sie macht sich oft viel mehr Sorgen um ihren Mann und ihre Kinder als um sich selbst. Nun kreisen die Gedanken immer weniger darum, was und wann einmal alles passieren wird. Laura weiß für sich, dass sie das Leben jetzt mit ihren Kindern und ihrem Mann intensiv leben will. Sie bemerkt, dass sie empfindsamer als früher ist. Nur sie erkennt immer mehr auch etwas wie ein Geschenk darin – durch den Alltagsstress hätte sie so viele schöne Dinge im Leben bereits übersehen, die sie jetzt wieder erkennen kann.

Die richtigen Worte

Was sie mag und braucht ist die liebevolle Zusprache und Zuwendung ihrer Familie und ihrer besten Freunde. „Meine Mutter sagte was Schönes: Jeder Tag mit Dir ist ein Bonus-Tag. Du vergisst das jetzt mal. Genau diese Worte nehme ich sehr ernst und möchte sie befolgen. Mein Mann, der Physiker ist, fand ähnliche Worte: ‚Das ist eine Statistik. Das bist nicht du. Wir werden sowieso sehen, was passiert.‘ “

Gezielte psychoonkologische Unterstützung

Die regelmäßigen Sitzungen bei ihrer Psychoonkologin im Krankenhaus ermöglichen Laura einen Perspektivenwechsel, so dass sie nicht mehr auf die Ängste fokussiert. Sie nimmt sich vor, sich auf Dinge zu konzentrieren, die funktionieren. Laura bereut es nicht mehr, die Ärztin relativ bald nach ihrer Lebenserwartung gefragt zu haben. „Ich finde nun auch was Gutes daran, dass ich das weiß. Andere, die ganz plötzlich durch einen Unfall sterben, können sich nicht von ihren Kindern verabschieden. Und ich kann meine Kinder in meiner Art darauf vorbereiten.“

Vor der Schule oder im Einkaufszentrum über meinen Krebs reden: nein!

Laura beschließt, dem Krebs in ihr nicht mehr so viel Bühne zu geben: „Jetzt ist die Zeit, dass man das Thema auf die Seite legt und dem nicht mehr den großen Stellenwert gibt. Es soll nicht immer nur um diesen Krebs gehen.“ Und in der Tat führen sie die Kinder schnell wieder in das Leben zurück. Die ärztlichen Besuche werden immer weniger, sie dominieren nicht das ganze Leben. Laura spricht offen darüber, wenn man sie ehrlich fragt. Sie möchte aber nicht überall damit konfrontiert werden. „Vor der Schule meiner Kinder oder im Einkaufszentrum schnell darüber sprechen – nein danke“. Sie weiß, dass sie Menschen braucht, die sie aufbauen und ihr Kraft geben. „Ich vermeide Leute zu treffen, die nichts davon wissen. Immer wieder neu erzählen und unberechenbaren Reaktionen ausgesetzt sein, nein. Immer den Ansprüchen anderer genügen, das will ich auch nicht. Meine Psychoonkologin riet mir, durchaus manchmal auch die Krebskarte zu nutzen – also klar zu sagen, wenn ich etwas krankheitsbedingt nicht will und kann.“

Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen

„Meinen besten Freunden habe ich es direkt mitgeteilt. Jeder hat anders reagiert. Ich wollte es einfach loshaben. Ich wollte meinen Mann entlasten, dass er das nicht tun muss. Ich habe direkt um Hilfe gebeten, meinen Mann zu unterstützen.“ Laura freut sich über ehrliche, liebevolle Antworten. Vor ihrer ersten Bestrahlung schenkt ihr eine Freundin ein „Care-Paket“ mit einem Outfit, Naschereien und etwas zum Wohlfühlen. Laura freut sich über Freunde, die sie motivieren, Ziele aufzeigen, sie auch unterhalten. Sie möchte selbst nicht trösten müssen. Für Laura steht fest: „Ich bin Ich. Diese Arschlochkrankheit wird mich daran nicht hindern.“ Und genau das postet sie in ihrem online Forum. Ein klares Statement, für das sie viele bestimmt bewundern. Auch ihren Arbeitgeberinnen kommuniziert Laura ganz offen ihre Krankheit. Die Geschäftsführerinnen von Veganista reagieren sehr verständnisvoll und ermöglichen Laura, dass sie zeitweilig andere Aufgaben übernimmt. Sie initiieren sogar darüber hinaus eine Verkaufsaktion, bei der „Brust-Eisknödel“ verkauft werden und sammeln Spenden für die Krebshilfe Wien.

Ein kleines Paradies im Jetzt

Laura zeigt während des Gesprächs mit uns auf den schönen Garten, in dem wir sitzen: „Hier sieht seit der Diagnose alles ganz anders aus. In Haus und Garten haben wir Vieles neugestaltet. Nie hätte ich mir vorher getraut, für so viel Geld solche Palmen zu kaufen. Wir haben uns ein kleines Paradies erfüllt.“ Laura erzählt, wie viel sie durch die Krankheit gewonnen hat: mehr an Komfort, an positiven Beziehungen, an Bewusstsein für das eigene Leben, aber auch Feingefühl für das vieler anderer. „Mein Leben vor der Diagnose war sehr stressig: ich war reizbar, genervt und viel zu wenig dankbar. Wenn mir niemand auf die Vollbremsung getreten wäre, wäre das nie so in dieser Art passiert.“

Laura erzählt aber auch, dass es oft gar nicht so einfach ist, als krebserkrankter Mensch in unserer Gesellschaft eine lebensbejahende Lebenseinstellung nach außen zu tragen. Menschen, die nicht in dieser Haut stecken, würden oft nicht verstehen, dass das vermutlich der einzige Weg ist, mit so einer Erkrankung zu leben: „Oft bin ich viel positiver als die Menschen rund um mich. So komisch es für manche klingen mag: Ich gewinne aus meiner Krankheit sehr viel Positives. Ich lerne mich selbst immer besser kennen und auch über meine Beziehungen zu meinem Mann und zu den Kindern lerne ich immer mehr. Diese Momente mit den Kindern sind so schön und intensiv wie nie zuvor.“

Lebenssinn und Dankbarkeit

Laura hat gelernt, mit ihrer Erkrankung zu leben. „Was mir hilft und was mir wichtig ist, ist mich für Vieles regelmäßig im Leben zu bedanken. Wenn ich aufzähle, was ich alle habe, wird mir bewusst, wieviel Glück ich habe. Ich war schon immer ein sinnsuchender Mensch. Meine Krebserkrankung bringt mich diesem Sinn ein großes Stück näher.“

Gespräch mit Eva Estermann, September 2023

 

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