Langsam wieder die Kraft, um auf Menschen zuzugehen

Mein Krebs und ich

Tina, Diagnose Krebs
Von der Diagnose zur Operation

Es ist Ende Jänner, Tina A. arbeitet seit sechs Jahren in einer Bäckerei, als sie sich ständig erkältet fühlt und hustet. Sie besucht einen Lungenfacharzt, der laut Röntgen nichts Besorgnis erregendes erkennt und ihr nur empfiehlt, in einem halben Jahr wieder zu kommen. Tina ist unsicher und geht doch bereits nach nur drei Monaten zum Arzt. Der Knoten ist leider stark gewachsen. Es folgen rasch weitere Untersuchungen. Leider ist innerhalb kürzester Zeit die Rede von „Tumorboard“: Die Entscheidung dort heißt „sofort operieren“. Der Knoten war so versteckt im Brustkorb und hatte sich leider explosiv vergrößert. Sofort steht die Frage im Raum: Sind die Gewebszellen denn bösartig? Der operative Eingriff ist sehr schmerzvoll. Leider hat sich Tina A. seitdem nie mehr richtig erholt. Die Biopsie gibt Gewissheit. Die Diagnose ist niederschmetternd für Tina.

Menschen, die da sind und helfen

In dieser schwierigen Zeit steht ihr ein besonderer Mensch zur Seite: Elisabeth, eine alte Bekannte. Sie wird zur wichtigen Stütze, da sie Tinas Nöte erkennt und handelt. Elisabeth begleitet Tina zu ärztlichen Terminen, um sie emotional zu stützen und ihr auch bei der Kommunikation mit den Ärzten und so beim Verstehen ihrer Krankheit zu helfen. Tina ist unendlich dankbar für diese Hilfe. Die beiden Frauen verbindet einiges, denn Tina war einst als Pflegekraft nach Österreich gekommen, um bei Elisabeths damals schon altem, pflegebedürftigem Vater zu arbeiten. Nun, wo Tina sich den Ärzten und Pflegern zeitweise ausgeliefert fühlt und die Behandlungen so schmerzhaft sind, ist Elisabeth für sie da. Nach dem operativen Eingriff entscheidet sich Tina gegen eine Chemotherapie, bleibt aber in einer engmaschigen Kontrollschleife des betreuenden Krankenhauses.

Tina hat einen mittlerweile volljährigen Sohn. Alexandru war vor vielen Jahren als 11-Jähriger seiner damals bereits in Österreich arbeitenden Mutter aus Rumänien nachgezogen. Seit kurzem ist er in die alte Heimat zurückgegangen. Er bleibt mit seiner Mutter über Telefon in regelmäßigem Kontakt. Tina lebt mit ihrem Mann zusammen. Tina erzählt, dass er unter Situation sehr leidet, aber bestmöglich unterstützt. Die Schwiegermutter kommt sogar vorübergehend nach Österreich, um dem belasteten Paar unter die Arme zu greifen. Die familiäre Situation ist herausfordernd – es ist nicht immer leicht mit der Schwiegermutter unter einem Dach. Wie viele andere Betroffene kann Tina nur schwer mit ihrem Mann über alle Ängste und Sorgen sprechen. Die ständigen Schmerzen plagen sie über alle Maßen. Sie spürt: darüber zu klagen oder gar zu weinen, tut ihrer Beziehung nicht gut. Trotz großer Unterstützung fühlt sich Tina alleine. Sie fällt in eine Depression. Besonders die Nächte belasten sie und machen ihr Angst: Seit ihrer OP plagen sie unerträgliche Schmerzen. Umso mehr kann ihr Kopf nicht abschalten. So denkt sie immer wieder an ihren Vater, der mit nur 45 Jahren an Krebs gestorben und auch an ihre Schwester, die 47-jährig an Krebs gestorben war. Sie selbst ist gerade 46.

Ein wichtiger Tipp: die Krebshilfe

Eine Freundin macht sie auf die Krebshilfe Wien aufmerksam, deren Beratungsleistungen sie seither dankbar in Anspruch nimmt: Dort steht ihr eine Spezialistin für „Krebs & Beruf“ bei Fragen rund um ihre Arbeitsunfähigkeit und gleichzeitig Arbeitsplatzsicherung bzw. bei der Kommunikation mit dem Arbeitgeber und der Krankenkasse mit Rat und Tat zur Seite. Die Spezialistin der Krebshilfe Wien bespricht mit Tina alle realistischen Optionen, wie sie in Bezug auf ihre Arbeit vorgehen soll, sie klärt sie über den Kündigungsschutz und eine spätere Wiedereingliederung auf. Schließlich spricht sie direkt mit Tinas Dienstgeber. Es ist klar, dass Tinas Nebenwirkungen der Operation, insbesondere die Rücken- und Knieschmerzen, gerade nicht mit einer Arbeit in der Bäckerei vereinbar sind. Das Wichtigste: Tinas Beraterin kann ihr die Angst nehmen, in ein finanzielles bzw. existenzielles Loch zu fallen. Nur so kann sie sich auf ihre Krankheit und ihre physische wie seelische Erholung konzentrieren. Sie erfährt über die Möglichkeit eines Reha-Aufenthalts: was für eine Freude! Dort kann sie sich schließlich endlich einmal ganz ihrem Körper und ihrer Seele widmen.

Als wir miteinander im Gespräch sind, klingelt plötzlich das Telefon: eine Dame der Gesundheitskasse ruft an, sie brauche spezielle Informationen und Nachweise. Tina versucht ihre Situation zu erklären, wieso sie die benötigten medizinischen Unterlagen noch nicht einreichen konnte. Schnell holen wir eine Spezialistin der Krebshilfe aus dem Bereich „Krebs & Beruf“ dazu, Tinas persönliche Beraterin: Sie kennt die komplexe Situation ihrer Klientin - sie übernimmt die Kommunikation und kann unmittelbar weiterhelfen.

Wieder Kraft, um selbst auf Menschen zuzugehen

Tina merkt, dass sie sich verändert hat: Sie hat mehr Angst im Alltag und kann wegen der Schmerzen nicht immer so entspannt und freundlich sein. Langsam aber doch kommt wieder Vertrauen ins neue Leben. Was Tina am meisten hilft ist menschliche Nähe. In der „heißen“ Phase ihrer Erkrankung hatte sie nicht die Kraft, selbst auf Menschen zuzugehen. Aber allmählich sammelt sie trotz körperlicher Schmerzen immer mehr Energie, um sich wieder zu öffnen und aktiv zu werden.

So besucht sie wie schon früher eine ältere Dame. Zusammen verbringen sie einen ganzen Nachmittag lang beim Karten spielen und genießen Kaffee und Kuchen. Für einen Moment kann Tina abschalten und Leichtigkeit empfinden: Sie genießen ganz bewusst die paar Stunden der Entspannung und Freude. Ihre Schmerzen sind dann noch immer da, aber sie kann mit ihnen besser umgehen. Das sind die Momente, die jetzt besonders kostbar sind und Tina sehr helfen, das Leben nach dem Krebs wieder in die Hand zu nehmen.

Gespräch mit E. Estermann, im Herbst 2021

 

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