Scheut euch nicht, Hilfe zu suchen.

Mein Krebs und ich

Monika B., Brustkrebs

Die Krebsdiagnose erwischt Monika B. (Name geändert) völlig unerwartet knapp vor ihrem 49. Geburtstag – und das in einer ohnehin herausfordernden Lebensphase: Ihre drei Kinder hat sie nach der Scheidung alleine erzogen. Jetzt sind ihre Töchter fast erwachsen und versuchen beruflich Fuß zu fassen. Sie selbst hat Jahre im Handel gearbeitet bis ein chronisches Asthmaleiden ihre Arbeit so sehr erschwerte und sie schließlich arbeitslos wird. Über das Arbeitsamt belegt die ausgebildete Kosmetikerin verschiedene Weiterbildungen. Es ist allerdings nicht mehr so einfach, im angestammten Beruf Fuß zu fassen und eine neue Stelle zu finden. Sie ist mitten in der beruflichen wie privaten Neuorientierung als die Pandemie ausbricht und die Aussichten auf einen neuen Job gar nicht rosig aussehen.

Mitten in der Orientierungsphase, mitten in der Pandemie

Trotz herausfordernder Lebensumstände ist Monika voller Tatendrang und Ideen, sie sucht eifrig nach beruflichen Möglichkeiten. Nach außen strahlt sie positives Denken und Lebensmut aus. Als gelernte Kosmetikerin hat sie ja in ihrem Leben stilistisch viel ausprobiert: Ihr volles Haar trägt sie schon lange kurz und genießt es, die Haarfarbe immer wieder zu wechseln. Kurz vor der überraschenden Diagnose färbt sie sich ihre Haare rot, knallrot. Sie schaut sich in den Spiegel und freut sich: So mag sie sich selbst am liebsten. Zulange hat sie sich zu von Zwängen und Konventionen eingeengt gefühlt. Jetzt fühlt sie sich endlich frei und lebendig.

„Es war ein Mittwoch. Das weiß ich noch ganz genau.“

An den Tag der Diagnose ihres Brustkrebskarzinoms kann sich Monika B. genau erinnern. An einem Mittwoch im Oktober geht sie zu einem Routinebesuch bei ihrer Frauenärztin, in der Erwartung, dass alles passt. Pflichtbewusst hatte sie über Jahre immer wieder beim Duschen ihre Brust abgetastet. Plötzlich soll alles anders sein: Nach einer Mammografie teilt man ihr in freundlichen, aber klaren Worten mit, dass ein verdächtiger Knoten zu erkennen ist und dass rasch weitere Untersuchungen erfolgen müssen. „Die Krebsdiagnose schlug ein wie ein Blitz. Ich empfand das alles so, wie als würde jemand plötzlich dem fahrenden Auto den Schlüssel rausziehen.“ Es ist wie in einem Film: „Der Krebs hatte mich mitten in einer Lebensphase erwischt, wo ich mich ohnehin neu finden und orientieren musste. Und jetzt das. Ich hätte so gerne wie bei einem Handy auf Reset gedrückt. Aber ich wusste: das geht nicht.“.

„Ich wollte nie die Behandlung in Frage stellen“

Schlag auf Schlag erfolgen Untersuchungen (v.a. Biopsie, MRT). Sie ergeben die Gewissheit über das Brustkarzinom. Bald darauf beginnt Monika mit einer Chemotherapie. In Pandemiezeiten ist eine Chemotherapie-Behandlung besonders schwer zu ertragen: Monikas Kinder wollen sie gerne besuchen und unterstützen, können es aber nicht – aus Angst, ihre geschwächte Mutter anzustecken und zu gefährden. Die Nähe ihrer Kinder fehlt. Monika versucht trotzdem positiv zu bleiben und zeigt kaum, wie es ihr wirklich geht. „In der Öffentlichkeit muss man stark sein, keine Schwäche zeigen. Auch im Krankenhaus. Dort haben sie mir immer gesagt, wie sie sich auf mich freuen, weil ich trotzdem immer lache. Geweint habe ich zuhause!“.

Monika ist eine Kämpferin, das hilft ihr enorm bei ihrer Krankheit. Die Fragen, Zweifel und Ängste bleiben aber auch ihr als Kämpfergeist nicht erspart. Monika nimmt hierfür die Unterstützung der Krebshilfe Wien in Anspruch, wo ihr eine einfühlsame Psychoonkologin emotional zur Seite steht.

Information, Vertrauen – und die Kontrolle über sich selbst

Monika will genau verstehen, was gesundheitlich bzw. medizinisch gerade mit ihrem Körper passiert. Die Informationsbroschüren der Krebshilfe Wien helfen ihr dabei: Hier kann sie sich einlesen, immer wieder nachschlagen und sich gezielt auf die Gespräche mit ihren Ärzt:innen vorbereiten. Sie reißt sich Seiten aus den Broschüren heraus und steckt sie in ihre Bücher, die sie als ‚alte Bücherratte‘ verschlingt. So informiert sie sich während der langen Wartezeiten im Krankenhaus über die bevorstehende Chemotherapie und mögliche Nebenwirkungen. Das hilft ihr: „Ich habe mich ganz bewusst für die Chemotherapie entschieden. Ich wusste, was alles mehr oder weniger auf mich zukommt. Ich habe mir vorgenommen, die Chemotherapie nicht ständig in Frage zu stellen. Ich sagte mir, dass das für mich zwar der härtere, aber sichere Weg ist.“

Auch sie hört über alternativmedizinische Angebote, steht diesen aber kritisch gegenüber. Trotz des ständigen Gefühls, fremd bestimmt zu sein, findet Monika schließlich einen Weg, der ihr das Gefühl gibt, die Dinge noch unter eigener Kontrolle zu haben: Information und Vertrauen.

Körperlich und geistig erschöpft, aber immer lebenshungrig

Die Ärzte empfehlen Monika B., sich wegen hoher Wahrscheinlichkeit von Metastasierung zeitgleich zur Brustoperation die Eierstöcke entfernen zu lassen: Sie sagt zu. Die Chemotherapie führt wie erwartet zu unangenehmen wie auch schmerzhaften Nebenwirkungen, die lange über die Therapie hinaus andauern: Trockene Schleimhäute vor allem im Mund, schwere Durchfälle, Gelenksschmerzen, Schlaflosigkeit, Konzentrationsprobleme. „In den Broschüren las ich über ‚Chemobrain‘. Zu hören, dass es auch anderen so geht, hat mich bestätigt und entlastet. Ich konnte Sätze nicht mehr zu Ende sprechen: Wenn der Körper nicht will, kann der Geist auch noch so viel probieren.“

Nach den operativen Eingriffen und der achtwöchigen Chemotherapie erfolgt schließlich die Strahlentherapie sowie dann über einen längeren Zeitraum eine Antikörpertherapie. Nach den vielen Behandlungen ist Monika körperlich wie psychisch erschöpft. Sie schläft sehr schlecht. Sie hat Panikattacken. Die sonst so zielstrebige und optimistische Frau leidet unter Lebensängsten.

Mit dem Krebs habe ich mich von oben sehen müssen

Und trotzdem spürt sie erneut, wie sie nach außen hin funktionieren muss. „Nachdem die Therapien zum Großteil vorüber sind, tendiert die Umgebung dazu, dir auf die Schulter zu klopfen, wie als wäre plötzlich alles vorbei. Sie sagen ‚Gott sei Dank ist jetzt alles vorbei. Du schaust wieder so gut aus.‘ Dabei geht es einem gar nicht gut, man fühlt sich wie in einem Loch.“ Die Erwartungshaltung von außen, sofort wieder zu funktionieren, erschwert Monika die Situation zusätzlich. Nach all den Selbstfindungsprozessen der Vergangenheit fordert der Krebs sie erneut heraus, sich wiederzufinden: „Ich bin nicht mehr die Monika von vorher. Mit dem Krebs habe ich mich plötzlich von oben sehen müssen. Ich muss mein Ich wiederfinden.“

Selfies, die Hoffnung geben

Hilfe bei diesen existenziellen Fragen erhält Monika über die online Plattform für Brustkrebserkrankte. Dort trifft sie endlich Menschen mit ähnlichen Schicksalsschlägen. Eine tabufreie Zone, in der sie endlich alle Gefühle rund um ihren Krebs aussprechen, Fragen stellen und sich endlich öffnen kann. Auch anderen Mut zu machen, das sieht sie jetzt als ihre Aufgabe: Sechs Selfies stellt sie in die online Plattform – sechs Gesichter ihrer selbst, wie sie sich über die Zeit verändert hat: Monika mit rotem Haarschnitt, Monika ohne Haare. Monika verzweifelt. Und dann Monika mit nachwachsendem Haar, Augenbrauen und Wimpern. Ein Symbol für Monika, dass es wieder einen Weg bergauf gibt. Bergauf, auch wenn sie noch nicht weiß, wohin.

Als sie sich während all den belastenden Therapien so alleine fühlt, erhält sie die Unterstützung ihrer Kinder. Sie bittet sie darum, über Nacht bei ihr zu bleiben. Sie lernt es, um Hilfe zu bitten und das zu artikulieren, was sie gerade braucht. Sie versucht sich hineinzudenken, wie sich ihre Kinder, Schwestern und besten Freunde fühlen, wenn sie so machtlos neben ihr stehen. „Stehsätze finde ich schwierig. Vor allem wenn man dir sagt, dass es einem schnell wieder gut gehen wird oder soll.“ Deswegen verbringt sie mit dem Mann einer an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstorbenen Freundin sehr gerne Zeit. Sie verstehen sich ohne Worte.

„Scheut euch nicht, Hilfe zu suchen.“

Monika will anderen Krebserkrankten einen Rat geben: „Scheut euch nicht, Hilfe zu suchen. Man muss zwar während der Krankheit selbst und oft alleine stark sein, das heißt aber nicht, dass man nicht um Hilfe bitten darf. Und seid ehrlich zu euch und zu den anderen.“ Dazu erzählt Monika abschließend eine in der U-Bahn erlebte Anekdote:

„Wir sollen uns viel mehr von Kindern abschauen. Einmal saß ein kleines 4-jähriges Mädchen mit seiner Mutter vor mir in der U-Bahn. Ich kam gerade von der Chemotherapie. Das Mädchen sah mich verdutzt an, wohl weil mir meine rote Mütze verrutscht war. ‚Wieso hast du keine Haare?‘ fragte es mich. Nach ersten Bedenken und trotz ängstlicher Blicke der Mutter wusste ich, dass ich ehrlich antworten muss: ‚Ich bin sehr krank. Aber ich möchte unbedingt wieder gesundwerden. Und dann wachsen die Haare auch wieder nach.‘ Das Kind strahlte. Und ich für einen Moment auch.“

Gespräch mit E. Estermann, im Herbst 2021

 

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