Wieso sprechen wir Männer nur so wenig darüber?

Mein Krebs und ich

Gerald, Prostatakrebs

Viele Männer, die an Krebs erkranken, sprechen nicht darüber. Sie tun sich sehr schwer, all die damit verbundenen Ängste und Sorgen mit ihrer Familie oder einem besten Freund zu teilen. Viel lieber leiden sie im Stillen. Gerald ist da anders.

Natürlich war ich geschockt, aber eigentlich gefasst

Gerald war selbst an Krebs erkrankt und weiß darum, wie tabuisiert die Krankheit Krebs in unserer Gesellschaft noch immer ist. Sogar Menschen, die selbst gar nicht daran erkrankt sind, schieben das Thema oft zur Seite. Sie sind peinlich berührt, wenn etwa im Büro ein Kollege oder eine Kollegin plötzlich erkranken oder ein Bekannter mit seiner Krankheit offen umgeht und davon erzählt. Wir haben als Gesellschaft gelernt wegzuschauen. Weil wir denken, damit die anderen, aber vor allem uns selbst zu schonen.

Vor zwei Jahren erhielt Gerald die Diagnose Prostatakrebs. Für den damals glücklichen 53-jährigen Ehemann und Vater zweier erwachsener Söhne brach plötzlich eine Welt zusammen. Trotzdem war Gerald sehr gefasst, als er von seinem Arzt damit konfrontiert wurde: Sein eigener Vater war zehn Jahre zuvor an Prostatakrebs erkrankt. Nicht lange vor seiner eigenen Diagnose war der Vater schließlich an einem anderen Krebs, nämlich Leukämie, gestorben. Umso mehr war es Gerald schon immer sehr wichtig, rechtzeitig alle Gesundheitsvorsorge- und speziell Prostata-Untersuchungen zu machen. „Pünktlich mit 50 stand ich bei der Vorsorgeuntersuchung. Und das war gut so. Denn ebendort wurde ein erhöhter PSA Wert festgestellt. Und wer weiß, was ich mir damit alles erspart habe.“

Die Vorsorge zahlte sich aus

Seitdem blieb Gerald in urologischer Beobachtung. Die Krankheit seines Vaters, aber auch andere eigene Vorerfahrungen im Krankenhaus bzw. mit seiner Gesundheit, ließen ihn immer hellhörig sein. Er wechselt nach einer Weile seinen behandelnden Urologen und lässt weiterhin regelmäßig seinen PSA (Prostata-spezifischem Antigen) -Wert beobachten: „Es entscheidet das Bauchgefühl, ob der Arzt richtig ist oder nicht.“ Beim neuen Arzt fühlt er sich mehr verstanden und besser beraten. Dieser weist auf den guten Einfluss von frühzeitigem und regelmäßigen Beckenbodentraining auf die weitere Entwicklung der Prostata hin – und das besonders vor einem möglichen operativen Eingriff. Gerald wird sich zunehmend bewusst, dass auch der Lebensstil bzw. Bewegung, Ernährung und Sex einen Einfluss auf seine Gesundheit haben und entscheidet sich unter anderem, kein Fleisch mehr zu essen.

Nach einer Biopsie sind schließlich in einer von 17 Proben Krebszellen nachweisbar. Die Beobachtungsschleifen werden enger. Die behandelnden Ärzte im Krankenhaus sehen aber noch keinen Grund zum operativen Eingriff, der Urologe ist allerdings anderer Meinung. Gerald spürt, dass er selbst entscheiden muss. Zeitgleich erhält Geralds Ehefrau eine Brustkrebsdiagnose. Das ist zu viel für den damals mitten im Beruf stehenden Manager. Aber wer ist bei dieser Mehrfachbelastung nicht überfordert?

Erleichtert nach der Operation

Die Familie hält während dieser schwierigen Zeit ganz fest zusammen – und schließlich findet Gerald über einen Hinweis seiner Frau einen Arzt, bei dem er sich endlich richtig aufgehoben fühlt. „Dieser Arzt hatte das notwendige Einfühlungsvermögen, das es bei diesem Thema so dringend braucht. Man kann das wirklich sehr unterschiedlich machen.“ Mit ihm zusammen kann sich Gerald für eine Operation entscheiden. Covid-19 zieht der medizinischen Planung allerdings noch einen Strich durch die Rechnung und die OP kann erst 3 Monate später in Angriff genommen werden. Gerald wird unruhig, weil er weiß, dass ein Herauszögern auch bedeuten kann, dass eine Bestrahlung vorgenommen werden muss. Letztere kann aber deutliche Auswirkungen betreffend Inkontinenz und Impotenz haben.

Am 5. August endlich die OP: die Prostataentfernung . Der histologische Befund bestätigt wachsende Krebszellen. Aber es gibt gleichzeitig Entwarnung: Alles, wirklich alles war gelungen. Die Harnröhre wurde wieder erfolgreich zusammengenäht. „Hurra! In diesem Moment dachte ich vor allem an das eine: Ich bin dicht, nicht inkontinent. Ich brauche keine Windeln! Das war so erleichternd…“ Gerald will auch offen über dieses Tabuthema sprechen, das wie Impotenz von Männern nicht gerne angesprochen wird. „Vorsichtshalber habe ich mir Einlagen gekauft. Aber ich habe mich so unendlich gefreut, dass ich sie nicht brauche.“

Wieso sprechen wir Männer nicht (mehr) darüber?

Gerald sagt, dass es für ihn natürlich leichter ist, darüber zu sprechen, weil bei seiner Operation alles gelungen sei. Trotzdem oder gerade deswegen ist es ihm ein großes Anliegen, dass mehr Männer darüber zu reden beginnen: Er spürt eine innere Verantwortung, in seinem männlichen Freundeskreis das Thema Prostata-Vorsorgeuntersuchung offensiv anzusprechen. „Ich kann mich in Männer hineindenken, wie sie ticken. Ich weiß, dass alles betrifft eine heikle, ja hochheilige Partie unseres männlichen Körpers. Impotenz, oh Gott, das macht den meisten von uns Angst. Und um das auszublenden gehen viele Männer im Trugschluss nicht zur Vorsorge.“ Egal wie Männer zur Prostata-Früherkennung bzw. den Vor- und Nachteilen eines Eingriffs stehen, es sei vor allem wichtig, sich mit dem Für und Wider einer Behandlung auseinanderzusetzen.

Wenn man mit Gerald spricht, dann spürt man sein ernsthaftes Anliegen, andere Männer – über seinen Freundeskreis hinaus – aufzuklären: „Rechtzeitige Prostata-Untersuchungen können uns Männer so viel ersparen, wie eben Inkontinenz und Impotenz. Und wir wissen: Nicht nur das, sondern noch viel, viel mehr.“

Am liebsten möchte Gerald rausgehen, eine Fahne hochhalten und rufen: „Leute, zögert nicht solange. Das Bauchgefühl sagt euch, wenn da was bei Euch nicht stimmt.“

Zum Abschluss hat Gerald Tipps für andere Betroffene, besonders Männer:
  1. Wir Männer sollen die Prostata-Vorsorge früh genug ernstnehmen. Folgen Sie den Empfehlungen von führenden Urologen und der Krebshilfe zur Prostata-Früherkennung.
  2. Die Entscheidung für eine Therapieform hat weitreichende Konsequenzen auf den Gesamtverlauf.
  3. „Ärzte sind auch nur Menschen“: Man muss ihnen vertrauen und sie gleichzeitig auch hinterfragen können.
  4. Jeder soll seinem Bauchgefühl vertrauen und durchaus auch in Erwägung ziehen, den Arzt/die Ärztin (mehrmals) zu wechseln.
  5. Mehr Eigeninitiative: man muss bei einer Krebserkrankung selbst dahinter sein und nicht die Verantwortung komplett auf die behandelnden Ärzte übertragen.

Und auch in Bezug auf Informationsquellen hat Gerald wertvolle persönliche Einsichten mitzugeben:

  1. Dr. Internet ist natürlich mit Vorsicht zu genießen. Allerdings muss man anerkennen, dass das Internet mittlerweile auch einen Wissenszugewinn bedeutet und Angst nehmen kann. Gerald hat sich vor der OP die laparoskopische Prostataentfernung mit Unterstützung eines Operationsroboters bzw. dem „Da Vinci-Roboter“ auf Youtube angesehen. Das hat sein Vertrauen in die bevorstehende OP gesteigert.
  2. Ähnlich das Gespräch mit anderen Betroffenen, auf Internetforen bzw. Selbsthilfegruppen: Subjektiv helfen die Erfahrungen der anderen sehr. Allerdings müssen diese mit einem Arzt oder einer Ärztin nachbesprochen werden, weil viele Falschinformationen entstehen und kursieren.