Der Krankheitsverlauf
"Das Wasser, das du nicht trinken kannst, lass fließen." - Alexander Sergejewitsch Puschkin, 1799 - 1837, russischer Dichter, Erzähler, Dramatiker und Romanautor
Eine der quälendsten Fragen für Angehörige wie für PatientInnen ist die Frage nach dem Verlauf der Krankheit.
- Was wird alles auf uns zukommen?
- Womit müssen wir rechnen?
- Wie soll ich mich verhalten, wenn dies oder jenes eintritt?
- Wie lange wird es dauern?
Die Ungewissheit um den Krankheitsverlauf nagt permanent an der psychischen Verfassung, das beschränkte Wissen um die Krankheit und einiger ihrer Symptome führt zu Angst und Unsicherheit.
Dem ist am besten durch eingehende Information vorzubeugen. Erkundigen Sie sich beim behandelnden Arzt, sprechen Sie mit Bekannten, die vielleicht einmal eine ähnliche Situation durchlebt haben, suchen Sie die Beratungsstelle der Österreichischen Krebshilfe Wien auf, durchforsten Sie das Internet.
Informationsquellen sind vielfältig - und je besser Sie über die Krankheit und ihren Verlauf Bescheid wissen, desto sicherer können Sie ihr begegnen.
Jede(r) PatientIn reagiert anders, befindet sich in einem bestimmten Krankheitsstadium, spricht unterschiedlich auf Therapien an und bringt individuelle mentale Voraussetzungen mit. Das macht es nahezu unmöglich, allgemeingültige kausale Zusammenhänge aufzustellen.
In den meisten Fällen ist es jedoch von Vorteil, offen miteinander über Ängste, Sorgen und Empfindungen zu reden, auch wenn es für Erkrankte wie für Angehörige nicht immer leicht ist, ein Gespräch zu beginnen.
Beide Seiten brauchen Zeit, um sich mit der neuen Situation, der Krankheit und der eventuell verbundenen Begrenztheit des Lebens auseinander zu setzen.
Zuneigung und Zuwendung, Anteilnahme und Respekt können ganz unterschiedlich zum Ausdruck gebracht werden: mit Gesten, in Aktivitäten und in Gesprächen.
Gemeinsam geht man durch Höhen und Tiefen der Krankheit.
Angehörige sollten nach Möglichkeit während des gesamten Krankheitsverlaufs den PatientInnen viel Liebe, Geduld, Verständnis, Unterstützung und Zeit entgegenbringen.
Das ist nicht immer einfach, denn oft sind Reaktionen von Kranken für Gesunde nicht nachvollziehbar. Wichtig dabei ist, dass Sie sich immer vor Augen halten, dass diese Reaktionen in den meisten Fällen Folgeerscheinungen der Krankheit sind.
Manchmal fühlen sich Angehörige durch bestimmte Reaktionen von PatientInnen zurückgestoßen. Bedenken Sie dabei, dass solche Verhaltensweisen in vielen Fällen auf einen reinen Schutzmechanismus des(r) Betroffenen zurückzuführen sind, mit denen PatientInnen ihre Ängste in Zaum zu halten versuchen:
- Schnelle Reizbarkeit,
- Gespräche abblocken,
- Leugnen der Prognose,
- Überreaktion bei scheinbar unwichtigen Dingen,
- Gleichgültigkeit,
- Unterlassung wichtiger therapeutischer Maßnahmen,
- Apathie,
- Depression,
- Stimmungsschwankungen,
- (scheinbares) Desinteresse,
- Isolationstendenzen.
All diese Verhaltensweisen, die bei KrebspatientInnen auftreten können, werden von Angehörigen oft missinterpretiert und führen in Folge zu einer Missstimmung, die für alle Beteiligten kontraproduktiv ist.
Versuchen Sie die Krankheit "verstehen" zu lernen und zeigen Sie Verständnis für solcherlei Schutzmechanismen von PatiententInnen.
Nehmen Sie solche Reaktionen nicht persönlich und vermeiden Sie es, wütend, belehrend oder gekränkt zu reagieren. Lassen Sie sich nicht entmutigen - in den meisten Fällen sind solche Verhaltensmuster im Zusammenhang mit dem gesamten Krankheitsbild zu sehen.
Gehen Sie so gut wie möglich auf die Bedürfnisse des(r) Erkrankten ein, aber achten Sie auch gut auf Ihre eigenen Bedürfnisse:
- Signalisieren Sie Bereitschaft zu offenen und ehrlichen Gesprächen, in dem beide Seiten ihre Empfindungen und Gedanken ausdrücken können. Zwingen Sie dieses Gespräch allerdings nicht herbei, nicht immer ist der/die Erkrankte dazu bereit! Warten Sie den richtigen Zeitpunkt ab.
- Vermitteln Sie dem(r) PatientIn Selbstwertgefühl. Zeigen Sie ihm/ihr, dass er/sie trotz Krankheit dieselbe Bedeutung und den gleichen Stellenwert für Sie hat wie zuvor.
- Nehmen Sie ihm/ihr Gefühle der Nutzlosigkeit und fördern stattdessen - im Rahmen des Möglichen - selbständige Handlungen!
- Integrieren Sie den/die Erkrankte(n) soweit wie möglich in den Alltag und binden Sie ihn/sie nach Möglichkeit in alltägliche Entscheidungsprozesse mit ein.
- Nehmen Sie Rücksicht auf sexuelle Veränderungen, die sich zwangsläufig durch die Erkrankung ergeben. Es erfordert viel Verständnis und Einfühlungsvermögen, um die beiderseitigen körperlichen Bedürfnisse aufeinander abzustimmen.
In vielen Fällen kann die Krankheit eine tiefe Verbundenheit und Nähe bewirken, wie sie in dieser Form vorher nicht wahrgenommen wurde.