DIE HÄNDE WISSEN, WAS ZU TUN IST.
Maltherapie und Krebs
Ein Interview mit Maltherapeutin Notburg Bammer

Liebe Notburg, du bietest als Maltherapeutin Malgruppen für Krebspatient:innen an. Kannst du uns erzählen, was die Maltherapie genau ist und wie sie sich vom normalen Malen unterscheidet?
Von uns gestaltete Bilder erzählen immer etwas über uns selbst. Wenn wir offen, ohne äußere Ansprüche, vor allem auch ohne Bewertungen an das Malen herangehen – egal, ob wir jetzt darin geübt sind oder nicht –, schöpfen wir aus unseren inneren Bildern, aus dem, was sich uns eingeprägt hat, seit wir auf der Welt sind.
Was in uns verborgen liegt, aber trotzdem unser Handeln beeinflusst, wird sichtbar. Dieses Bewusstwerden trägt zur Reifung und zu einer heilsamen Entwicklung unseres Lebens bei. Bilder sind wie Träume, die aus der Tiefe hervorholen, was uns bedrängt, aber auch Wege ins Freiwerden anklingen lassen.
Im Malen (speziell im Setting der Maltherapie) geschieht Selbstgestaltung. Und das passiert, indem wir unsere Bildgestaltung (spielerisch) erweitern – wir integrieren Farben, denen wir normalerweise ausweichen, neue Grenzsetzungen zwischen Farbflächen werden möglich… und vieles mehr. Das Malen ist ein „Probeleben“. Es spiegelt die Erweiterung unseres Handlungsspielraumes im Leben. Besonders wichtig scheint mir in der Maltherapie die körperlich seelische Erfahrung, die wir im Malprozess erleben. Allein das Wissen um notwendige Veränderungen im Leben reichen nicht aus. Wir müssen erfahren, wie es sich anfühlt, wenn wir Muster durchbrechen.
Kannst du deinen speziellen Ansatz als Maltherapeutin schildern? Und welche Rolle spielst du eigentlich als Therapeutin bei der Maltherapie?
Geprägt von meiner Ausbildung liegt mein Fokus auf der Bildgestaltung, also sich wirklich Zeit zu nehmen fürs Malen, um in den Malprozess einzutauchen und dann auch entsprechend körperlich seelische Erfahrungen zu machen, die einen weiterbringen. Meine Aufgabe als Maltherapeutin ist, einen geschützten Raum zu schaffen, sehr genau hinzuschauen, was sich im Bild zeigt, mitzuspüren und zu spiegeln, wenn ich am Bild Unstimmigkeiten wahrnehme bzw. wenn ich etwas erkenne, was den Malenden auf die Sprünge helfen könnte. Natürlich geht es auch darum, Malende aufzufangen, wenn sie durch ihre Arbeit sehr berührt sind. Ich verstehe mich als Zeugin des Malprozesses, der dadurch eine andere Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit erfährt.
Wie kann Malen helfen, psychische Probleme wie Depressionen oder Ängste zu bewältigen? Und was ist deine Erfahrung, wie eine Maltherapie speziell bei einer Krebserkrankung helfen kann?
Bei einer Diagnose Krebs wird das Leben plötzlich völlig auf den Kopf gestellt – dieser Kopf kommt nicht mehr zur Ruhe. Und was alles durcheinandergerät, dazu brauche ich nicht viel zu sagen. In der Maltherapie geht es darum, diese verschiedensten Emotionen zu fassen, ihnen eine Gestalt zu geben, sie nach außen zu tragen, sich ihnen im Bild gegenüberzustellen – damit verlieren sie an Macht, wir finden einen Umgang mit ihnen. Das Gestaltenkönnen stellt sich der Ohnmacht entgegen. Gleichzeitig zeigt jedes Bild auch eine Ressource, zeigt Stärken in uns, die uns tragen, uns trösten.
Die Maltherapie basiert auf dem humanistischen Menschenbild: Was wir für das Leben brauchen, ist in uns angelegt. Heilgard Bertel, bei der ich meine Ausbildung gemacht habe, verwendet immer wieder ein Wort, um das es in der Maltherapie (auch) geht: befrieden. Wir können nicht alle Dinge „wegmalen“, die unser Leben schwer machen, aber wir können einen Prozess des Befriedens und
echten Integrierens beginnen. Das finde ich einfach so wohltuend.
Welche Materialen kommen in der Maltherapie zum Einsatz und wie läuft eine typische Maltherapiesitzung ab?
Ich verwende Gouachefarben, die für den therapeutischen Bereich entwickelt wurden. Sie haben eine spezielle Leuchtkraft und sind mit besonderen Ölen versetzt. Da sie sich so wunderbar cremig anfühlen, sind sie bestens dafür geeignet, sie direkt mit den Händen auf das Papier aufzutragen. Wenn die Malenden nicht wissen, wie oder was sie malen sollen: Die Hände wissen schon, was zu tun ist. Und das stimmt auch so. Man ist viel feinfühliger, wenn sich nicht ein Werkzeug dazwischenschiebt.
Eine Malsitzung dauert normalerweise ca. zwei Stunden oder natürlich auch kürzer, wenn es körperlich zu viel ist. Anfangs gibt es ein kurzes Gespräch, was einem beschäftigt, was IST und ob es ein besonderes Anliegen gibt etc. Daraus ergibt sich, wie die Malenden ans Bild gehen: Entweder mit einer Farbe und einer freien Geste, aus der sich das Thema entwickelt oder auch durch einen Impuls von mir, der auf das Anliegen Bezug nimmt. Im abschließenden Betrachten der Bilder versuchen wir zu klären, was sich in den Arbeiten zeigt, was uns überrascht und was wir uns mitnehmen können... Die Erfahrung zeigt: die Freude über das gelungene Bild wirkt lange nach.
Liebe Ruth, erzähle uns doch bitte ein bisschen mehr über deinen Werdegang und wie du zur Maltherapie kamst.

Wie bei vielen anderen auch hat mich die Eigenerfahrung zur Ausbildung für Maltherapie veranlasst. Ich erhielt mit 40 Jahren die Diagnose Brustkrebs, als meine Tochter noch ganz klein war. Im Laufe der Gesprächstherapie bin ich auch auf die Maltherapie gestoßen. Es hat für mich ein sichtbarer Prozess der Befreiung – ich sag es mal so – begonnen, der sich auf mein gesamtes Leben ausgewirkt hat. Neben meiner Arbeit als Lehrerin für Kunst an einem Gymnasium habe ich in Vorarlberg die Ausbildung für Begleitetes Malen, Maltherapie und LOM R – Lösungsorientierte Maltherapie gemacht. Seit 20 Jahren begleite ich Menschen in ihren Malprozessen und werde selbst bereichert durch diese besonderen Bilder.
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